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Donnerstag, 18. April 2024

Jäger der verlorenen Schätze

Flohmarkt! Schätze bergen, von denen man nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Munter feilschen, herzhaft tratschen, sich darüber wundern, wie viel Ramsch sich an einem Ort versammeln kann. Wer sich unter die Flohmarktflaneure mischt erkennt rasch: Flohmarkt ist immer großes Kino, ist ein Panoptikum, ein Kuriositätenladen, eine Lieblingsstückfundstelle und die Kammer des geschmacklichen Schreckens zugleich.

Jäger der verlorenen Schätze - Holzflugzeug

Das bunt bemalte Holzflugzeug hat als Lampe einmal ein Kinderzimmer beleuchtet. Jetzt steht es ganz oben auf einem Stapel mit Spielesammlungen. „Herausgewachsen", sagt die Frau, die dahinter steht und schmunzelt in ein Gesicht, gut eineinhalb Köpfe ober ihr. Es gehört einem jungen Mann mit Dreadlocks und erstem Bartansatz. Am Stand daneben versucht ein halbwüchsiges Mädchen seine Barbie-Sammlung zu verkaufen, gegenüber hat ein junges Paar Diätkochbücher im Angebot. Haushaltswaren, Blümchengeschirr und Gläser bedecken ihren, zum Verkaufsplatz umgestalteten, Tapezierertisch. „ Brauchen Sie keinen schönen Römertopf, oder vielleicht ein Wiegemesser aus Edelstahl! Die Salatschleuder ist so gut wie neu!" Das Interesse der potentiellen Kundschaft hält sich in Grenzen. Heute sind viele Verkäufer da und die Warenauswahl groß.

Jäger der verlorenen Schätze - Flohmarkt

Lampenschirme, Teppiche, Häkeldeckchen gruppieren sich um eine Madonna mit Kind. Alte Gerätschaften, deren Bedeutung verloren gegangen ist, Metallkästen aus Industriebestand, in Öl oder doch Acrylfarben festgehaltene Landschaften mit und ohne röhrendem Hirschen. Versilberte Trinkpokale, afrikanischer Touristenkitsch. Manchen Ständen ist anzusehen, dass sie von professionellen Antikhändlern geführt werden, anderen, dass sie zu Haushaltsauflösern gehören, die strickend, lesend oder mit einer Tasse Kaffee in der Hand wissen, dass sich wer kaufen will, schon melden wird. Dazwischen jene, die einmal im Jahr ihre Schränke, Keller und Dachböden durchstöbern und ausprobieren, wie viel sich mit längst überholten Sachen noch einnehmen lässt.

Jäger der verlorenen Schätze - FlohmarktJäger der verlorenen Schätze - alte Operngläser

Die Frau mit den selbstgemachten Marmeladen und den Sachen, die sie von Freunden und Bekannten zugesteckt bekommt, freut sich, wenn sie sonntags mit ein paar Euro in der Tasche nach Hause geht. Dann, so sagt sie, kann sie ihr Auto wieder tanken und auf ihre Enkeltochter schauen. Und sie kommt ins Erzählen, während man selbst in den Bananenkartons wühlt, in der Hoffnung etwas Brauchbares zu finden. Sie war arbeitslos geworden, weil ihr Arbeitgeber Konkurs angemeldet hatte, sie habe ungezählte Bewerbungen geschrieben, aber sei bis jetzt erfolglos geblieben. „Ich bin denen immer zu alt", sagt sie und schließt das Thema, um über ihre Enkelkinder zu reden. Das ist ihr lieber und das wiederum sieht man ihr an.

Jäger der verlorenen Schätze - Mann am FlohmarktstandJäger der verlorenen Schätze - Hand wühlt in Koffer

Flohmärkte sind auch immer Orte, an denen nicht nur Gegenstände den Besitzer wechseln, sondern auch Informationen, Tratsch und Klatsch. Und es sind Orte, wo die Notwendigkeit auf die Leidenschaft trifft. Denn nicht weit von der Frau mit den Marmeladen und den geschenkten Sachen steht einer, der sagt: „Das hier ist mein Leben. Und wenn ich noch einmal auf die Welt kommen sollte, dann fange ich das wieder an. Ich bin ein Händler mit Leib und Seele, durch und durch." An seinem Stand steht ein Tierarzt und kramt in der Schatulle mit Silberbesteck. Der Tierarzt hat nebenbei auch noch Kunstgeschichte studiert. Die beiden kennen sich, unterhalten sich über überzogene Preise, gefälschte Bilder und Antiquitäten andernorts. Manche Sätze redet der Tierarzt in den Rücken des Händlers mit Leib und Seele, weil dieser Operngläser und alte Uhren aus seinem Auto räumt. „Ich mache das seit über 40 Jahren."

Jäger der verlorenen Schätze - FlohmarktJäger der verlorenen Schätze - Flohmarkt

Flohmärkte sind eine Erfindung der Armut, die Marché aux Puces, wie sie in Frankreich heißen, von wo sie auch herstammen sollen. Schon im späten Mittelalter war es in Paris üblich, dass Lumpensammler die Kleider der Reichen kauften, um mit ihnen Handel zu treiben. 1890 fand im Norden der Stadt dann der erste Flohmarkt statt. Die zweite Heimat der Flohmärkte ist Belgien. Brocanteurs (Händler, Trödler) hielten dort ihre Märkte ab. Der wohl legendärste von ihnen ist jener, auf dem Place du Jeu de Ball. Er besteht seit 1873 und findet täglich statt. Dagegen ist die Flohmarktgeschichte im deutschsprachigen Raum verschwindend kurz. 1967 wurde in der Altstadt von Hannover der erste Trödelmarkt abgehalten, am 18. November 1972 war der 1. Bezirk in Wien zum ersten Mal Schauplatz eines Kunst- und Antiquitätenmarktes.

Jäger der verlorenen Schätze - Flohmarkt

Und jetzt? Jetzt gibt es sie überall. Die traditionellen und die neuen, die eingeführten und die Geheimtipps, die großen und die kleinen, die in Hallen, die an Flussufern, auf Parkplätzen und die in der eleganten Atmosphäre von Schlössern und Palais. Hier stehen sie dann, die Händler und die Gelegenheitsverkäufer, die Privaten und die Professionellen und ja, auch so mancher kleine Dieb und bieten an, was anzubieten da ist. Hier gehen sie dann, die Flohmarktflaneure, weiblich, männlich, jung und alt, manche gebeugt, manche beladen, eine Frau trägt einen Korbsessel verkehrt auf dem Kopf. Alle gemeinsam, Sucher nach verlorenen Schätzen, die in Wahrheit niemand verloren hat, sondern der eine nicht mehr braucht und der andere sich darüber freut. Auf den meisten dieser Märkte wird wohl kaum ein Originalgemälde von Maurice Utrillo zu finden sein, wie man es sich vom Place du Jeu de Ball erzählt, aber einmal Hand aufs Herz, hätten wir es erkannt?


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