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Freitag, 29. März 2024

Was soll ich bloß anziehen?

1,3 Milliarden Kleidungsstücke werden in Deutschland pro Jahr aussortiert. In Österreich sind es 80.000 Tonnen. Demgegenüber steht eine Textilindustrie, die ihre Arbeitskräfte ausbeutet und die Umwelt belastet. Der Buchtipp der Woche!

Was soll ich bloß anziehen? - aufgeschlagenes Buch

Der Buchtipp der Woche: Dreimal anziehen, weg damit von Heike Holdinghausen

Was soll ich bloß anziehen? Wenn Heike Holdinghausen diese Frage stellt, dann geht es nicht um Rock oder Hose, Jacke oder Balzer, es geht um das Universum der Bekleidung und deren Industrie. Es geht um menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, um verseuchtes Wasser und kontaminierten Boden, den Einsatz von Chemikalien und um Tierquälerei. Es geht um Etikettenschwindel, unterstützt von einer zahnlosen Politik in den Industriestaaten, um mehr oder weniger beabsichtigte Konsumenten- und Kundenfehlinformation.

Dreimal anziehen, weg damit, das neue Sachbuch von Heike Holdinghausen liest sich streckenweise wie ein Umweltthriller. Zum einen, weil sie schreiben und erzählen kann (Leser der Berliner Tageszeitung taz kennen ihre wohlgespitze Feder), zum anderen, weil sie gut recherchierte Zahlen und Fakten für sich sprechen lässt. Ein Beispiel von vielen ist die Jeansproduktion. Weltweit werden jährlich zwei bis drei Milliarden Jeans verkauft. Hosen, die bekanntlich aus Baumwolle, Farbe und Chemie bestehen. Wird nur zwei Prozent der Ackerfläche weltweit, so Holdinghausen, für den Baumwollanbau genutzt, lässt die durstige Pflanze dafür Flüsse und Seen austrocknen und verbraucht ein Viertel aller in der Landwirtschaft eingesetzten Insektizide. Für das Wohlgefühl auf der Haut und den Tragekomfort werden Chemikalien eingesetzt, von denen man annimmt, dass sie krebserregend sind. Der used look bilanziert ebenfalls negativ in der Umweltbilanz, seit Jahren schillern die Flüsse Chinas in allen (chemischen) Farben der Saison.

Was soll ich bloß anziehen? - aufgeschlagenes BuchWas soll ich bloß anziehen? - aufgeschlagenes Buch
Höher, schneller, mehr …
Laut Zahlen der Vereinten Nationen wurden im Jahre 1995 Textilwaren und Garne für knapp 360 Milliarden Dollar gehandelt. 2013 war das Handelsvolumen weit mehr als doppelt so groß, nämlich 850 Milliarden Dollar. Zu extrem schlechten Bedingungen und unter extrem hohen Ressourcenaufwand wird immer mehr und mehr Kleidung produziert. Und wofür? Dafür, das 8 Millionen Österreicher jährlich 80.000 Tonnen Kleidung entsorgen und 80 Millionen Deutsche 1,3 Milliarden Kleidungsstücke in Container oder in den Müll werfen. Dafür, dass die Schränke überquellen. Dafür, dass der Markt absolut übersättigt ist, sagt Holdinghausen, und die Branche zu immer drastischeren, ausgeklügelteren, aggressiveren Werbemaßnahmen greifen muss. Die Beispiele, die sie aufzählt, spannen den Bogen von Suchmaschinenoptimierung bis zum raffinierten Einkaufs-App, vom gezielten Etikettenschwindel (buy local und clean clothes sind nicht immer saubere Heimarbeit), bis zur freundlichen Erinnerungsmail, dass man sich doch wieder einmal einen Wintermantel leisten soll.

Das mit dem Wintermantel ist prinzipiell eine gute Idee, aber bitte welchen denn? Nude ist angesagt und feuriges Rot, Kupfer kommt ebenso auf den Laufstegen daher, wie uni und auffällige Prints. Und was trägt frau darunter? Culottes oder doch Skinny-Pants aus Leder, die überlangen Glockenjeans oder wieder den Rock über der Hose und aus? Höher, schneller, mehr – „Fast Fashion" überholt sich selbst, zitiert sich selbst, dreht sich im Kreis. Doch die Branche ist pfiffig. Sie schaffte es selbst aus den Verweigerern, den Normcore-Apologeten, im vergangenen Jahr einen Trend zu kreieren. Das alles kostet Geld, viel Geld. Selbstredend, dass da für die meist weiblichen Arbeitskräfte in den Billiglohnländern nur wenig übrig bleibt. Auch dorthin schaut Heike Holdinghausen und das tut sie sehr genau. Und wir Leser lernen, dass die teure Marken-Bluse in der Trend-Boutique nicht unbedingt fairer und umweltschonender produziert wurde, als deren billige Schwester im Supermarkt.
Was soll ich bloß anziehen? - Buchcover Was soll ich bloß anziehen? - aufgeschlagenes Buch
Heike Holdinghausen schaut aber auch auf den kleinen Silberstreifen am Horizont. Auf die Dedox-Kampagne von Greenpeace und was sich daraus an Zusammenarbeit mit der Textilindustrie entwickelt hat. Auf Recyclingkunststoffe, für deren Herstellung es zumindest keinen Boden, keine Insektizide und nur wenig Wasser braucht, wie sie anmerkt. Deren Marktanteil ist steigend, langsam aber doch. Heike Holdinghausen hat auch ein paar kleine, feine Beispiele von Betrieben gesammelt, die heute schon in einer umweltschonenderen und sozialeren Zukunft angekommen sind. Sie produzieren nicht unter menschenverachtenden Bedingungen und tun das in Europa. Eine davon färbt den Jeansstoff weniger stark ein, das sieht dann auch wie used look aus. Geht doch!
Einkaufstipps für bewusste KäuferInnen gibt es im Anhang, neben einem Überblick über die verlässlichsten Gütelabels, die den biologischen Anbau der Baumwolle und/oder den fairen Handel der Kleidungsstücke garantieren.
Was soll ich bloß anziehen? Die Frage hat sich nach der Lektüre des Buches mit anderen Inhalten gefüllt.

Der Buchtipp der Woche:

Heike Holdinghausen, Dreimal anziehen, weg damit. Was ist der wirkliche Preis für T-Shirts und Co? Westend Verlag http://www.westendverlag.de/

Was soll ich bloß anziehen? - Buchcover

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