Daniel Spoerri *Fadenscheinige Orakel*
Daniel Spoerri war schon immer ein Sammler. Wenn er nicht mit dem Zusammentragen von Erfahrungen als Tänzer, Regisseur, Künstler, Reisender und Schreibender beschäftigt war oder mit dem Erfinden neuer Kunstströmungen, dann mit dem Aufspüren von Gegenständen. Seide aus Japan, Batik aus Indonesien, Gehstöcke aus aller Welt, Tassen, Teller, Besteck und alte, bestickte Wandbehänge auch.
Als ich vor acht Jahren in Oberösterreich zwei Wochen in Kur war, schreibt Daniel Spoerri im Vorwort zu Fadenscheinige Orakel, fand ich in Antikläden und Flohmärkten solche Tücher und kaufte eine ganze Menge davon, ohne eigentlich zu wissen warum. „Diese naive Gläubigkeit und kritiklose Hoffnung – aber auch die rührende, zeitraubende Ergebenheit, die diese ‚Verschönerung‘ des ‚Heim und des Herds‘ erforderten – erbarmten und belustigten mich."
Dann schnitt Spoerri die Sprüche von den Tüchern, sortierte die Wörter, legte sie zu Stapeln und formte seine eigenen Zeilen daraus. Über ein Jahr lang wird er zu dem Tisch gehen, auf dem die Wörter ausgebreitet sind. „Mein Puzzle-Spielplatz", nennt ihn Spoerri und erklärt, dass es oft Stunden dauerte, bis ein Spruch fertig war. Ein Satz, den man sich nicht einmal vorher ausdenken konnte, weil er sich aus dem ergeben muss, was an Wortmaterial vorhanden ist.
lass das sinnen
leb‘ heute und hier
beginn jetzt
heimlich zu scherzen
*
Der gruß ins weite blaue lachen
Manche Sätze lesen sich, als wären sie tatsächlich ein Gruß in das weite, blaue Lachen hinein. Andere wieder kehren die ursprüngliche Aufforderung zum Beten und Hoffen und Glauben mit einem Augenzwinkern ins Gegenteil. Und dann gibt es noch die, die die Liebe auf eine weniger verklärte Art beschwören.
Ich bin Dein! gut zu wissen! ist so ein Daniel-Spoerri-Satz. Großartig!
Die Tücher sind bestickt, die Sprüche mit der Hand aufgenäht. Es gibt übrigens eine limitierte Luxusedition der Fadenscheinigen Orakel - sie enthält einen originalen Wandbehang des Künstlers - selbstverständlich signiert.
Eines noch: Fadenscheinige Orakel ist ein wunderschön gemachtes Buch. So schön, das man in ihm am liebsten mit feinen Handschuhen blättern würde. Spoerris Bilder edel auf schwarzem Grund, daneben der Text der Stickerei, einfach und schlicht auf einem weißen Blatt. Sogar die Lesebändchen (ja, es gibt zwei) sind in schwarz und weiß. Aber es ist ja auch ein Buch des Klagenfurter Verlegers Lojze Wieser und dieser wiederum ist bekannt für seine liebevoll gemachten Bücher. „Ham ma bildsauber g’macht" steht auch auf dem letzten Orakelspruch. Das ist keine Prophezeiung, das ist die Realität.
Daniel Spoerri, Fadenscheinige Orakel, Wieser Verlag
hier geht’s zur Verlagsseite von Wieser – stöbern lohnt sich sehr!
https://www.wieser-verlag.com/
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